Nach längerer Abstinenz habe ich mal wieder eine Klinik von innen erlebt.
Und das kam so.
Beim Einkaufen plötzlich ein Gefühl des Schwindels wie bei einer Kreislaufschwäche.
Dazu schlafen Finger der rechten Hand und Zehen des rechten Fußes ein.
Ein Kribbeln überzieht die Kopfhaut und das alles verbunden mit einer leichten Übelkeit.
Nach ein paar Minuten ist alles wieder vorbei. Die Liebste testet meine Reflexe, die alle da sind aber sie schaut besorgt und will mich ins Krankenhaus bringen.
Zu Hause angekommen lasse ich mich von ihr überreden, den Doc anzurufen.
Da er das Wartezimmer voll hat, wird er in etwa einer Stunde zurückrufen.
Und da – während des Wartens auf den Rückruf – kommt schon der zweite Anfall.
„Anfall“, na ja, so schlimm ist es nun auch wieder nicht, ich falle ja nicht um oder habe längerfristige Ausfallserscheinungen … trotzdem empfiehlt der Doc einen Besuch in der Klinik.
Wie schon erwartet, ist die Notaufnahme nicht gerade leer und Warten ist angesagt. Nach etwa einer Stunde bin ich dran – andere müssen noch länger ausharren. Der Arzt in der Notaufnahme meint „Ihre Tochter darf da bleiben.“ Hihi. Das hatten wir noch nicht. Ich bekomme ein Bändchen ums Handgelenk und eine Braunüle in den Handrücken und dann auch gesagt, dass sie mich dabehalten werden. Ein CT und ein EKG werden noch in der Notaufnahme gemacht – beides o.B.
Die Station im 6. OG ist die „Stroke Unit“. Ich komme in ein Zweibettzimmer, in dem auch schon eine Frau liegt, die sich überhaupt nicht rühren kann und Marko, der Pfleger, der mich aufnimmt, meint, dass Freitag Nachmittag der schlechteste Termin für so was sei. Denn die fälligen Untersuchungen würden frühestens am Montag stattfinden können. Ich werde also an die Überwachungsgeräte angeschlossen. EKG, Puls, Sauerstoffsättigung und Temperatur werden ständig gemessen, der Blutdruck einmal pro Stunde. Dann geht es gegen 21:00 aber noch mal auf Reisen und zwar ins MRT. Eine gute Stunde später bin ich wieder „auf Station“ und angeschlossen.
An Schlaf ist nicht zu denken bei der Piepserei. Und dann fängt die Bettnachbarin auch noch an, zu rumoren … was genau sie tut, bleibt mir dank Vorhang zwischen unseren Betten aber verborgen.
Zum Pinkeln und zum Waschen werde ich abgekabelt und darf aufstehen. Frühstück erst gegen halb neun … na ja: Wochenende halt. Lesen. Sudoku. Dösen. Musik hören. Warten auf die Visite. Besuch von der Liebsten. Oberarzt Dr. Schröter kommt gegen Mittag. Er stellt sich selbst, aber nicht seine Assistentin vor. Sein Telefon klingelt und er geht raus. Frau Doktor macht die gängigen Übungen zur Feststellung der Auswirkungen des KIA. Finger zur Nasenspitze. Arme ausstrecken. Beine anwinkeln und leicht heben. Alles kein Problem. Doc Schröter kommt zurüch und fragt nicht etwa, was sie schon gemacht habe sondern macht die gleichen Übungen noch mal. Communication Breakdown. Diagnose: o.B. bei MRT und CT. Eine ganz leichte TIA. Weitere Untersuchungen werden für Montag avisiert. Entlassung frühestens Mitte der Woche.
Mittagessen, Langeweile, Musik hören, Lesen. Abendessen. Kein Fernsehen obwohl es möglich wäre. Bundesligaergebnisse via iPhone und OneFootball. Dann gegen 22:00 Verlegung in ein anderes Zimmer. Ohne Kabel und Schläuche. Das ist schön. Dort ist mit Markus ein weiterer soeben verlegter Patient gerade eingezogen. Wir sind uns einig, dass das Fenster immer offen sein muss und auch sonst scheint er ein netter Typ zu sein. Seine zwei Meter flößen Respekt ein.
Ich warne ihn vor meinen Schnarchattacken und er schläft relativ früh ein. Um halb zwölf hole ich mir eine Pille, weil sich partout keine Müdigkeit einstellt. Tiefer und fester Schlaf bis morgens um sieben. Geweckt wird relativ spät und das Frühstück kommt gegen neun, na ja: Sonntag eben. Frühstück am Tisch. Markus ist auch EDV Fuzzi, Admin aber zur Zeit ohne festen Job. Wir verstehen uns und erzählen Geschichten aus dem Leben.
Keine Visite. Ist ja Sonntag. Die Liebste kommt zu Besuch und wir machen einen kleinen Ausflug nach unten. Ziemlich wackelig noch. Etwas später noch einmal einen Gang und da geht es schon deutlich besser.
Sonntag abend kommt die asiatische Ärztin, die uns nicht vorgestellt worden war und die sich selbst auch nicht vorgestellt hat. Sie fragt, ob wir etwas dagegen hätten, wenn wir verlegt würden. Schon wieder? Jede Nacht in einem anderen Zimmer? Sicher haben wir etwas dagegen und es gelingt uns auch, sie davon zu überzeugen, sich jemand anderen zu suchen, wenn denn Bettenmangel bestünde. Apropos Vorstellung. Kaum eine Schwester oder Pfleger hat sich bei der ersten Begegnung vorgestellt. O tempora o mores.
Montag wird früher geweckt und auch das Frühstück gibt es früher. Markus kommt gleich am Vormittag zur Doppler Untersuchung, dann kann es ja bei mir auch nicht so lange dauern. Kurz nach dem Mittagessen ist Visite. Diesmal hat Dr. Schröter eine Osteuropäerin als Assistentin dabei – wieder stellt er sie nicht vor. Mit Markus führt er ein ausgiebiges Gespräch, mit mir wechselt er nur wenige Worte. Auf meine Frage nach der Entlassung antwortet er, dass die Untersuchungen abgewartet werden müssten. Aber es ist keine Untersuchung in Sicht. Während des Nachmittags gehe ich des Öfteren zum Untersuchungsraum und finde ihn meist leer vor. Schwester Helga – eine der wenigen, die sich vorgestellt hatte – meint, es könne noch bis 17:00 Uhr dauern, bis ich dran käme. Ab 16:00 Uhr ist der Untersuchungsraum leer – auch kein Arzt da. Dann treffe ich kurz vor fünf den Arzt, der die Untersuchung bei Markus gemacht hat und frage nach. Ich sei heute nicht auf der Liste gewesen. Aber morgen. Wann denn ungefähr? Das lasse sich heute noch nicht sagen. Ein kompletter Tag, an dem nichts passiert ist. Mein Unmut wächst.
Dann erscheint die namenlose Ärztin osteuropäischer Provenienz in unserem Zimmer. Sie fragt nicht sondern erklärt uns, dass wir beide noch an diesem Abend verlegt werden. Markus wird zuerst abgeholt, er kommt in die Chirurgie ein Stockwerk unter uns. Alle Versuche, mich auch dorthin verlegen zu lassen, scheitern. Eine Zeitlang sieht es so aus, als ob ich doch nicht umgesiedelt werde. Ein neuer Bettnachbar zieht ein. Er hat einen Harley-Davidson Koffer und breitet sich im Bad so aus, als sei es für ihn allein. Privatpatient? Und dann – gegen 19:00 Uhr – ist es so weit und ich werde „ausgelagert“. In die Urologie. Transport mit dem Taxi. Vierbettzimmer. Stickig dort, aber niemand hat etwas dagegen, dass ich das Fenster aufreisse.
Nächster Morgen. Ich ziehe mich gleich nach dem Waschen komplett an, denn ich gehe davon aus, dass ich nach der Doppler-Untersuchung nach Hause kann. Der Vormittag vergeht und nichts passiert. Ich bitte den Pfleger, mal „drüben“ anzurufen, wann ich denn drankomme. Er kommt zurück und sagt: Um 15:00 Uhr. Super. Fünf Minuten später kommt eine Schwesternschülerin und fragt nach Herrn Schulz und eröffnet dem, dass er um 15:00 zur Doppleruntersuchung drankäme und danach nach Hause entlassen werde. Wir sind beide irritiert. Dem Günther Schulz geht es noch überhaupt nicht gut und er soll entlassen werden und ich bin voll fit und was ist mit mir? Die Schwester erklärt, dass ich heute ein 24h-EKG bekomme und die Doppler Untersuchung erst morgen und dass ich erst am Donnerstag entlassen würde. Genaueres würde mir der Doc erzählen, wenn er zur Visite am Nachmittag vorbeikäme. Könnte es sein, dass da eine Verwechslung vorliegt? Ich bitte den Pfleger, noch mal klärend zu telefonieren aber er bestätigt die Hiobsbotschaft.
Ein Anruf beim Hausarzt bestätigt, dass das 24h-EKG durchaus ambulant bei ihm erledigt werden könne. Mit meiner Liebsten berate ich, was zu tun ist … Entlassung auf eigenes Risiko? Die Doppler-Untersuchung wäre ja schon ganz schön, ambulant gibt es da lange Wartelisten … aber deshalb noch eine weitere Nacht auf der Urologie?
Gegen 14:00 Uhr erscheint der Stationsarzt Dr. Brucker. Dem erzähle ich meine Leidensgeschichte und er versteht, dass da etwas völlig falsch gelaufen ist. Ihm ist es nicht anzulasten aber er ist erst diesen Tag wieder da, kennt mich noch nicht und hatte das mit dem Langzeit EKG gesehen und deshalb meine Untersuchung erst für den nächsten Tag eingeplant. Spontan disponiert er um, nimmt mich mit rüber direkt zur Untersuchung. Beim Abholen meiner Krankenakte im Arztzimmer der urologischen Station hört man ihn darüber schimpfen, wie mit mir umgegangen worden sei. Auch der Pfleger lässt sich zu einer ähnlichen Bemerkung hinreißen.
Die Doppler-Untersuchung offenbart leicht beschichtete Arterien – wohl eine Folge des hohen Cholesterin-Werts und der Raucherei in der Jugend – aber nichts Bedrohliches. Ich muss noch auf das Entlassungsschreiben warten und dann werde ich entlassen. Ach ja, einen Blick werfe ich noch durch die offene Tür des Schwesternzimmers auf die Belegungsliste. Der Harley-Davidson-Koffer-Mann ist immer noch solo untergebracht. Von wegen Bettenmangel. Privatpatient!